Das Märchen von der geschenkten Zeit

(Heute mal ein ganz anderer Text, einer der von einer lieben Freundin zu mir kam und uns vielleicht ein wenig auf die Zeit nach „C“ einstimmt, hoffentlich!!!!)

Es war einmal eine Königin, die hatte drei Töchter. Von der Ältesten sagten die Leute: „Wie klug sie ist!“. Von der Zweiten meinten sie voller Bewunderung: „Seht wie ist sie so fleißig!“. Wenn sie aber von der Dritten sprachen, hellten sich ihre Gesichter auf: „Sie ist so freundlich und kann so wunderbar lachen!“

„Es ist an der Zeit, meine lieben Töchter“, sagte eines Tages die königliche Mutter, „dass ihr das Haus verlasst und die Welt kennenlernt.“

Einer jeden legte sie eine kunstvoll verzierte Tasche über die Schulter, die war prall gefüllt. „Das ist eure Wegzehrung. Ich habe jeder von euch einen großen Anteil meiner Zeit geschenkt. Geht sorgsam damit um. Mehr davon kann ich euch nicht geben.“

Der Abschied war herzlich und dann ging jede ihres Weges. Die Erste, die Kluge war noch nicht weit gegangen, da hatte sie schon eine große Berechnung angestellt, wie sie ihre Zeit möglichst gewinnbringend anlegen könnte.

„Gönne uns ein kleines bisschen von deiner Zeit,“ wisperten die Blumen am Wegesrand. „Wo denkt ihr hin!“ sagte die kluge, „Zeit ist Geld, das wirft man nicht einfach auf die Straße“. Und sie eilte davon, als hätte sie schon keine Zeit mehr.

Die Zweite, die Fleißige, hatte schon bald eine Beschäftigung entdeckt und arbeitete hastig, denn sie wollte die Zeit ausnutzen. Da rollte ihr ein Ball zwischen die Füße und ein Kind rannte herbei und fragte: „Spielst du mit mir?“ „Jetzt nicht“, sagte die Fleißige, „ich habe keine Zeit. Ich muss heute schon die Arbeit von morgen machen!“ „Spielst du morgen mit mir?“ „Es geht nicht, da mache ich die Arbeit schon von übermorgen!“ „und wann hast du dann Zeit?“ „Vielleicht, wenn mir nichts dazwischenkommt! Aber jetzt nimm deinen Ball. Stiehl mir nicht die Zeit!“ Da ging das Kind und wartete bis übermorgen.

Die dritte Tochter aber kam nicht weit, nur bis zu einer Bank am Ententeich. Da saßen ein paar alte Leute und schwiegen sich an, denn sie hatten sich schon alles erzählt und etwas Neues fiel ihnen nicht ein. „Hast du ein bisschen Zeit? Komm setz dich zu uns!“ „Aber sicher“ sagte die Königstochter mit dem lachenden Gesicht, „ich habe viel Zeit geschenkt bekommen. Davon kann ich euch abgeben.“ Sie langte in ihre Tasche und fragte die alten Leute nach ihrem Leben. Sie erzählten ihr viel und noch mehr, und als sie sich endlich verabschiedet hatten, hörte sie sie von Weitem noch lachen, was sie beinahe schon vergessen hatten.

„Nach einem Jahr“, hatte die Mutter gesagt, „kommt ihr noch einmal zurück und erzählt, wie es euch ergangen ist.“

Als das Jahr herum war, schickte die Älteste ein teures Blumengebinde mit einem Gruß daran: „Liebe Eltern, habt Dank, aber ich kann euch jetzt nicht besuchen, es wäre unklug. Der weite Weg zu euch würde mich zu viel Zeit kosten.“

Die Zweite kam in allerhöchster Eile und sie erzählte von der vielen Arbeit, die nun liegen bleiben müsste und war im Herzen schon abgereist, ehe sie angekommen war.

Die Dritte aber kam etwas zu spät, denn sie hatte noch Blumen gepflückt, die sie der Mutter mitbringen wollte und hatte mit einem Kind Ball gespielt. „Hast du denn so viel Zeit übrig?“ fragte die Mutter. „Aber sicher“, sagte die Tochter, „du hast mir ja gar nicht verraten, dass die Tasche sich immer wieder füllt! Je mehr Zeit ich verschenkt habe, desto mehr fand ich darin.“

„du bist die Einzige“, sagte die Mutter lächelnd, „die das Geheimnis der geschenkten Zeit herausgefunden hat.“

Verfasser unbekannt

14.04.2020

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